Killing the Beast

Tosender Applaus dringt an meine Ohren, als ich die Trainingsarena an diesem Morgen betrete. Ich blinzle in das helle Licht der Fackeln, welche die Arena zu beiden Seiten erleuchten. Dahinter, im Halbdunkel der Schatten, sehe ich die Umrisse und Gestalten der anderen Anwärterinnen auf den Bankreihen. Einige von ihnen sind von ihren Plätzen aufgestanden, um mir motivierende Worte zuzurufen. Andere haben die Kapuzen ihrer Mäntel hochgezogen, deutliche Sorge in ihre Gesichter gezeichnet.

Es gibt keinen Grund dafür. Nicht wirklich. Ich habe schon so oft in dieser Arena gestanden, dass ich längst zu zählen aufgehört habe. Das ist mein Leben, meine Routine, der Sinn und Zweck von allem, was ich die letzten Jahre getan habe.

Ein feines Grinsen schleicht sich auf meine Lippen beim Anblick der zahlreichen Mädchen und jungen Frauen, die sich in der Arena versammelt haben – so viele, dass sie sich auf den Bankreihen aneinanderpressen müssen, um überhaupt genug Platz zu finden. Manche Gesichter sind neu, erst vor Kurzem von der Gilde gefunden und hergebracht worden, um die Ausbildung zur Jägerin anzutreten. In ihren runden, kindlichen Gesichtern erkenne ich ein Stück von mir selbst. Mir blickt dieselbe Angst entgegen, wie ich sie auch an meinem ersten Tag hier verspürt habe. Damals saß ich auf einer derselben Bankreihen, nicht mehr als Haut und Knochen. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich gezittert habe, während eine der Anwärterinnen in der Arena einen Tatzelwurm tötete und ausweidete. Später habe ich mich beim Mittagessen im Gemeinschaftsraum übergeben, weil der Gestank von Blut und Exkrementen immer noch in meiner Nase brannte.

Manchmal kommt mir das junge Mädchen von damals wie eine Fremde vor. Ich bin nicht mehr die schwache, unscheinbare Jade von vor sechzehn Jahren. Nein, heute bin ich eine Jägerin. Heute stehe ich aus einem einzigen Grund in dieser Arena: um ein Monster zu töten.

Ich werde nie wieder schwach sein.

»Ruhe!«, donnert eine Stimme durch die Arena und lässt das Raunen und Flüstern der Anwärterinnen augenblicklich verstummen. Ich sehe zum Balkon am anderen Ende hoch, wo sich die schlanke Gestalt der Obersten Jägerin abzeichnet. Ein von Falten gezeichnetes Gesicht blickt auf mich hinab, die dunklen Augen fast vollständig hinter dicken Brauen versteckt. »Jade Labelle, bist du bereit, dich deiner vorletzten Herausforderung zu stellen und deine Fähigkeiten als Jägerin unter Beweis zu stellen?«

»Ich bin bereit, Eure Obrigkeit«, bestätige ich ohne Zögern.

Es ist die Wahrheit. Sechzehn Jahre habe ich auf diesen Moment gewartet. Sechzehn Jahre habe ich geschwitzt und geblutet und geweint, um nun hier in dieser Arena zu stehen. Wenn ich diese Prüfung bestehe, dann wartet nur noch eine letzte Herausforderung auf mich, bevor ich in die Gilde aufgenommen werde. Ein berauschendes Gefühl durchfährt mich.

Ich war nie mehr bereit als jetzt.

Die Oberste Jägerin nickt zufrieden. Mit ihrem langen, gewundenen Stab zeigt sie in Richtung des Gitters am anderen Ende der Arena. Dahinter kann ich einen Schatten ausmachen und das Funkeln von mehreren Augenpaaren, die mir aus der Finsternis entgegenblicken.

»Jade Labelle, deine vorletzte Aufgabe besteht darin, deine Finesse unter Beweis zu stellen«, erklärt sie. Ihre Stimme donnert durch die Arena und lässt einige der Mädchen in den vorderen Reihen zusammenzucken. »In der letzten Prüfung hast du uns bereits deine Stärke und dein Wissen gezeigt. Jetzt möchten wir dein Geschick auf die Probe stellen. Im Käfig vor dir haben unsere Jägerinnen eine Bestie gefangen, die dir nur allzu bekannt sein sollte: der Mantikor. Stiehl einen Tropfen seines Gifts und überreiche es mir, um dich als Jägerin zu beweisen. Nimmst du diese Aufgabe an?«

Kaum sind ihre Worte verklungen, geht leises Tuscheln durch die Reihen der Anwärterinnen. Manche schauen mich mit weit aufgerissenen Augen an, andere ziehen bloß herausfordernd die Brauen hoch, das Interesse an meinem Vorgehen deutlich größer als die Möglichkeit meines Todes.

Ich verneige mich vor der Obersten Jägerin. »Das tue ich, Eure Obrigkeit.«

»Nun denn.« Sie macht eine wegwerfende Bewegung in Richtung des Käfigs. »Lasset die Prüfung beginnen.«

Zwei junge Jägerinnen ziehen von einem Podest aus an einer Kurbel, mit der die Gitterstäbe langsam nach oben wandern. Ich rolle meine Schultern, atme durch und ziehe mein Schwert. Mit beiden Händen halte ich es fest, die Füße breitbeinig auf dem Boden verwurzelt, der Blick zielsicher auf das Monster gerichtet, das sich im Innern des Käfigs verbirgt.

Ein Brüllen ist das Erste, was die Bestie von sich gibt – laut genug, um den sandigen Boden der Arena zum Beben zu bringen. Aus dem dunklen Tunnel am anderen Ende tritt eine vierbeinige Kreatur hervor. Sie reißt das mit Zähnen bewaffnete Maul weit auf. Sabber verfängt sich in ihrer goldenen Mähne und die ledrigen, schwarzen Flügel wippen bei jeder Bewegung auf und ab. Doch meine Aufmerksamkeit gilt einzig und allein dem Skorpionstachel, welcher sich drohend über der Bestie erhoben hat, der Giftsack prall gefüllt mit der Essenz, die ich suche.

Es wäre ein Leichtes, den Mantikor zu töten. Sie sind bedrohliche, aber unglaublich schwerfällige Wesen. Ein paar Hiebe an der richtigen Stelle und ich könnte den Kopf des Monsters der Sammlung im Gemeinschaftsraum hinzufügen. Aber das ist nicht meine Aufgabe. Ich soll das Gift des Mantikors extrahieren – und das muss geschehen, solange er noch am Leben ist. Hat er seine letzten Atemzüge schon genommen, verliert auch das Gift seine tödliche Wirkung.

Genau das ist der Clou dieser Aufgabe: Ich muss nicht schnell oder stark sein, sondern geschickt. So lange überleben, bis ich bekommen habe, was ich suche.

Der Mantikor stößt ein weiteres Brüllen aus und wirft seine Mähne zurück, dann rennt er los. Sand wirbelt auf, als er auf mich zurast, das Maul weit aufgerissen. Ich unterdrücke den Drang, sofort auszuweichen, sondern warte ein paar Atemzüge ab. Erst dann springe ich zur Seite. Der Mantikor – schwerfällig und träge – donnert in vollem Tempo gegen die Stützsäulen der Arena. Ein Zittern geht durch die Bankreihen und einige der Mädchen schreien auf. Ich strecke das Schwert vor meinem Gesicht aus und gehe in Angriffsposition über.

Es dauert nicht lange, bis sich der Mantikor erholt hat. Er schüttelt sich einige Holzspäne aus der Mähne und brüllt erneut auf. Jetzt, aus der Nähe, sehe ich die zahlreichen Narben und frisch verheilten Wunden, die sein Gesicht zieren. Die müssen ihm die Jägerinnen zugefügt haben, als sie ihn gefangen und zur Gilde gebracht haben.

Freilebende Mantikore sind nicht die grausamen Monster, wie ihr Äußeres vermuten lassen würde. Sie leben einzelgängerisch in abgelegenen Bergtälern oder auf schneebedeckten Gipfeln, ernähren sich von Gämsen oder Steinböcken, die ihren Weg kreuzen. Erst wenn sie zu nahe an menschliche Siedlungen geraten und einen Geschmack für Menschenfleisch entwickeln, greifen wir ein. Das ist unsere einzige, simple Aufgabe als Jägerinnen: Wir töten Monster und schützen Menschen.

Erneut geht der Mantikor auf mich los. Er schlägt mit den Flügeln, aber die Arena ist zu klein, um genug Geschwindigkeit für einen Flug aufzubringen. Dieses Mal weiche ich nicht aus. Stattdessen kralle ich meine Finger enger um den Griff meines Schwerts und renne ihm entgegen.

Eine Pranke, so groß wie mein Gesicht, rast auf mich nieder. Ich ducke mich darunter hinweg. Der Stachel schießt hinab und ich lasse mich zu Boden fallen, um vorbeizurollen. Dann springe ich wieder auf die Beine und durchtrenne im Rennen den rechten Flügel der Bestie.

Ich schlittere keuchend zu einem Halt. Der Mantikor schreit auf – ein dröhnendes Geräusch, das wie der Widerstand, wenn zwei Schilder aufeinandertreffen, durch meinen Körper vibriert. Es war ein präziser Schnitt, der Flügel fein säuberlich am Ansatz abgetrennt. Blut rinnt aus der Wunde zu Boden und verklebt sich mit dem hellen Sand.

Für ein paar Wimpernschläge siegt der Schmerz der Bestie über ihren Selbsterhaltungstrieb. Sie reißt den Kopf herum in Richtung der Wunde, die ich ihr soeben zugefügt habe. Ich nutze den Moment, um mich wieder in Bewegung zu setzen. Ein Schritt, zwei Schritte, drei, dann habe ich das Monster erreicht. Ich stoße mich vom Boden ab, meine Oberschenkel brennend von der Anstrengung. Mit einer Hand umfasse ich mein Schwert, mit der anderen kralle ich mich im Fell der Bestie fest, als ich auf ihrem Rücken lande.

Ich kann hören, wie die Anwärterinnen auf ihren Bankreihen erschrocken Luft einatmen, gefolgt von einigen überraschten Rufen aus den oberen Reihen. Der Mantikor schlägt um sich, während er verzweifelt versucht, mich von seinem Rücken abzuwerfen. Ich halte mich an seinem Fell fest, meine Gliedmaßen zitternd, meine Muskeln in Flammen gesetzt. Mit so viel Kraft, wie ich aufbringen kann, drücke ich meine Beine gegen seinen Körper, als würde ich ihn wie ein Pferd reiten. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie das Biest den Skorpionstachel hebt. Ich habe nur eine einzige Chance. Eine einzige Möglichkeit, um diese Herausforderung zu bestehen – oder zu sterben.

Ich schlinge meine Hände um mein Schwert und schlage zu.

Im selben Moment, als der Stachel auf mich niederfährt, erreicht die Klinge meines Schwerts den Nacken des Monsters. Sie durchtrennt Fell und Haut und Muskeln, schlägt sich durch Fleisch und Knochen, bis ich sie ruckartig stoppe und zurückziehe. Blut spritzt mir ins Gesicht, hinterlässt einen bitteren Geschmack auf meinen Lippen und ich unterdrücke einen plötzlichen Würgereiz. Der Mantikor erstarrt augenblicklich. Der Stachel sackt kraftlos zurück. Mit einem leisen Stöhnen sinkt die Bestie zu Boden, die Bewegung beinahe genug, um mich von ihrem Rücken zu werfen.

Ich lehne mich nach vorne. Der Mantikor ist komplett erstarrt. Für ein paar Sekunden befürchte ich, dass ich zu weit gegangen bin – dass mein Schwert sich zu tief in seinen Nacken gebohrt und ihn tatsächlich getötet hat. Doch dann spüre ich seine schweren Atemzüge unter meinem Körper – langsam, unregelmäßig, aber zweifellos da.

Er ist noch am Leben. Das Schwert hat seine Wirbelsäule durchtrennt, nicht aber seinen Nacken. Mein Plan ist aufgegangen.

Erleichtert atme ich aus. Ich lasse mich von seinem Rücken hinabgleiten und nähere mich dem Stachel, der zu Boden gesunken ist. Das Schwert stecke ich zurück in die Scheide. Stattdessen ziehe ich ein kleines Fläschchen aus dem Gürtel an meiner Hüfte und halte es unter die Stachelspitze, während ich mit der anderen Hand am Giftsack drücke. Ein einzelner Tropfen löst sich und sammelt sich im Fläschchen. Die grüne Farbe bestätigt mir, dass es wirksam ist. Tödliches Gift, gesammelt von einem lebenden Mantikor.

Kurz trifft mich der Blick der Bestie. Die großen, gelben Augen sind geweitet, die Atemzüge kommen nur noch hechelnd hervor und der Körper ist sichtbar verkrampft, die Krallenspitzen tief in den sandigen Boden der Arena gegraben. Fast glaube ich, etwas Flehendes im Ausdruck des Monsters erkennen zu können – Schmerz, vermischt mit Angst, mit Panik. Etwas regt sich in meiner Brust, aber ich schlucke es schnell herunter und löse den Blick wieder vom Ungeheuer.

Mit einem Grinsen auf den Lippen drehe ich mich zum Balkon um, auf dem die Oberste Jägerin sitzt, und halte das Fläschchen hoch.

»Das Gift eines Mantikors«, verkünde ich, das dumpfe Gefühl in meiner Brust weiter hinabdrängend. »Ganz wie Ihr es Euch gewünscht habt, Eure Obrigkeit.«

Sie nickt anerkennend. Ich meine sogar, so etwas wie ein sanftes Lächeln auf ihren runzeligen Lippen sehen zu können, auch wenn ich mir sicher bin, dass das lediglich Einbildung ist. Sie erhebt sich von ihrem Stuhl.

»So sei es, Jade Labelle«, lobt sie mich. »Deine vorletzte Prüfung ist bestanden.«

Tosender Applaus rollt über die Arena wie eine Donnerwelle. Die Anwärterinnen springen von ihren Bankreihen auf, jubeln und schreien meinen Namen. Ich grinse ihnen entgegen, meine Lederrüstung besprengt mit Blut, jeder Muskel in meinem Körper schmerzend, aber glücklich.

Nur noch eine Prüfung. Dann bin ich so weit. Wäre ja gelacht, wenn ich die nicht auch mit links bestehen würde.

 

* * *

 

»Du bist kein Mensch«, sagt Clémentine kopfschüttelnd, als ich eine Stunde später, frisch gebadet und in sauberer Kleidung, im Speisesaal sitze. »Du bist eine verdammte Maschine.«

Ich lache auf. In meinen Ohren rauscht der Applaus aus der Arena immer noch nach und das Kribbeln, das ich jedes Mal nach einem Kampf verspüre, prickelt nach wie vor über meine Arme und Beine. »Jetzt übertreib mal nicht. Meine Schwert-Technik war definitiv verbesserungswürdig. Ich hatte bloß Glück.«

»Glück?« Meine beste Freundin starrt mich an, dann nimmt sie ihren Löffel aus der Suppenschüssel und lässt ihn auf meine Handfläche niedersausen.

»Autsch!«, empöre ich mich und reibe mit gespieltem Schmerz über die Stelle, die sie gerade getroffen hat. »Wofür war das denn bitte?!«

»Für deine falsche Bescheidenheit«, erwidert Clémentine und verschränkt die Arme vor der Brust. »Jede hier im Raum weiß, dass du eine der Besten bist. Wem spielst du überhaupt was vor?«

Ich will widersprechen, aber dann bemerke ich die Blicke, die auf mir lasten, Mädchen und ältere Anwärterinnen, die ständig wieder verstohlen zu unserem Tisch hinübersehen oder hinter gehobenen Händen mit ihren Freundinnen tuscheln. Sie starren alle in unsere Richtung. In meine Richtung. Jede Einzelne von ihnen hat gesehen, was ich in der Arena getan habe.

»Du hast recht«, sage ich und lehne mich auf der Bank zurück. »Ich bin eine der Besten.«

»Na also.« Clémentine beginnt zu grinsen. »Da ist die Jade, die ich kenne.«

»Aber meine Schwert-Technik war dennoch verbesserungswürdig«, füge ich an, woraufhin Clémentine erneut den Löffel hebt. Lachend wehre ich sie mit einem Stück altem Brot ab. »Was? Es ist wahr!«

»Du bist unglaublich, weißt du das?« Erneut schüttelt sie den Kopf. »Deine Technik ist nahezu perfekt, Jade.«

»Nahezu, ja«, stimme ich ihr zu. »Aber wenn ich wirklich irgendwann zu den besten Jägerinnen der Gilde gehören will, dann reicht nahezu nicht aus.«

»Ich verstehe immer noch nicht, weshalb dir das so wichtig ist«, meint Clémentine und schiebt sich ein Stück Brot in den Mund. Ihre nächsten Worte gehen in ihren Kaugeräuschen und dem Stimmengewirr, das den Speisesaal ausfüllt, beinahe unter. »Die Oberste Jägerin liebt dich sowieso schon. Und es ist ja wohl klar, dass du die letzte Prüfung mit links meistern und zur Jägerin ernannt werden wirst.«

»Hast du irgendeine Ahnung, welche Aufgabe sie mir stellen werden?«, weiche ich ihrer eigentlichen Frage aus.

Clémentine schluckt herunter, bevor sie weiterspricht. Einige Brotkrumen kleben an ihrem Kinn und in ihren dunklen Haaren. Ich kenne sie, seit wir kleine Mädchen waren, und in all den Jahren hat sie nie gelernt, sauber zu essen. »Vielleicht ein Gargoyle oder eine Wasserhexe«, mutmaßt sie achselzuckend. »Nichts, was du nicht meistern könntest.«

Ich schweige. Vermutlich hat sie recht. Die letzte Prüfung wird nur ein kleines Hindernis auf meinem Weg zur Jägerin sein. Sobald ich sie bestanden habe, werde ich offiziell Teil der Gilde sein – und den Pfad meiner Zukunft einschlagen, der schon vor Jahren für mich entschieden wurde. Dennoch kann ich nicht verhindern, dass sich beim Gedanken daran ein mulmiges Ziehen in meiner Magengrube breitmacht. Wahrscheinlich nur Aufregung. Mein ganzes Leben habe ich auf diesen Moment hingearbeitet und nun ist er plötzlich nur noch wenige Wochen entfernt. Kein Wunder fühlt sich das unwirklich an.

Clémentine öffnet den Mund, um noch mehr zu sagen, als auf einmal die mächtige Doppeltür zum Speisesaal aufgeht. Augenblicklich geht ein Raunen durch die Reihen. Gespräche verstummen schlagartig, Mädchen erstarren und auf einen Schlag sind alle Blicke nur noch auf die junge Frau gerichtet, die soeben durch die Tür gekommen ist.

Inès Durand bewegt sich mit einer Eleganz und einem Selbstvertrauen, als wäre sie eine Göttin unter Sterblichen. Sie ist groß gewachsen, fast einen Kopf größer als ich, obwohl ich keinesfalls klein geraten bin, mit langen, muskulösen Beinen, einem durchtrainierten Oberkörper und einem von Narben übersäten Gesicht. Ihre Haut hat die Farbe von dunklem Leder, die schwarzen Haare sind zu mehren Zöpfen geflochten, die ihr fast bis zur Hüfte reichen, und sie trägt eine enge Rüstung, die sich wie eine zweite Haut über ihren schlanken Körper gelegt hat. Eine Hand liegt wie immer an ihrem Schwert, umklammert stolz den Griff der Waffe, der sie als vollwertiges Mitglied der Gilde auszeichnet.

Für ein paar Sekunden ist es, als würde der gesamte Speisesaal gleichzeitig den Atem anhalten. Ich spüre, wie mir bei Inès‘ Anblick Hitze ins Gesicht schießt, und starre rasch in meine Suppe hinein.

Clémentine stößt mich mit dem Ellbogen sanft in die Seite. »Jade! Jade, jetzt schau doch hin!«

Zögernd hebe ich den Kopf und kann nur mit größter Mühe einen aufkommenden Schrei unterdrücken. Inès ist nur noch wenige Meter von unserem Tisch entfernt – und sie steuert zielstrebig direkt auf uns zwei zu.

Die Hitze in mir verstärkt sich, brennt wie ein Feuer durch mich hindurch und lähmt nicht nur meine Gliedmaßen, sondern auch jegliche Fähigkeit, klare Gedanken zu fassen.

Mit einem Lächeln auf dem Gesicht bleibt Inès vor unserem Tisch stehen. Sie sieht mich direkt an. »Jade Labelle.«

Ich bringe kein Wort hervor, zu perplex bin ich von der Tatsache, dass sie meinen Namen kennt. Nur entfernt nehme ich wahr, wie das Tuscheln im Speisesaal wieder angefangen hat, wie erneut alle Blicke auf mich gerichtet sind.

»Beeindruckende Leistung heute in der Arena«, merkt Inès an. »Ich freue mich schon, wenn wir dich offiziell in unseren Rängen begrüßen dürfen. Du wirst eine tolle Ergänzung sein.«

Endlich fließt das Blut zurück in meinen Kopf und ich erinnere mich wieder daran, wie man Worte formt. »Dankeschön«, bringe ich hervor.

Inès lächelt mich noch einmal an, dann geht sie an Clémentine und mir vorbei zum Tisch der anderen Jägerinnen im hinteren Teil des Raumes. Kaum hat sie uns den Rücken zugedreht, wendet meine beste Freundin sich mir zu, die Augen so weit aufgerissen, dass ich befürchte, sie könnten ihr jeden Moment aus dem Schädel fallen. »Hast du das gerade gehört?! Sie hat dich eine tolle Ergänzung genannt«, schießt es aus ihr hervor. »Die Inès Durand hält dich für eine tolle Ergänzung, Jade!«

»Ich … hab’s gehört«, antworte ich, auch wenn ich mir nicht ganz sicher bin, ob ich es auch wirklich verarbeitet habe.

Clémentine hält mich an den Schultern fest und grinst mich an. »Wieso das lange Gesicht? Du himmelst Inès doch schon an, seit du das erste Mal in der Trainingsarena standst.«

»Psst!«, ermahne ich sie. »Das muss doch nicht gleich jede hier drin erfahren!«

»Ach, komm schon. Das weiß sowieso jede hier drin, die Eins und Eins zusammenzählen kann. Du bist nicht ganz so unauffällig, wie du es gerne wärst, meine Liebe.« Sie zwinkert mir zu. »Und wer weiß, vielleicht hast du jetzt ja eine echte Chance bei Inès. So als vollwertige Jägerin.«

»Halt die Klappe«, grummle ich, kann aber nicht verhindern, dass mein Herzschlag sich bei dem Gedanken beschleunigt.

 

* * *

 

»Das war eine beeindruckende Leistung, Jade«, sagt die Oberste Jägerin.

Sie hat mich nach dem Abendessen zu sich in ihr Arbeitszimmer zitiert. Das Feuer im Kamin knackt leise und lässt meine Wangen glühen. Ich sitze ihr Jägerin gegenüber auf einem Stuhl beim Schreibtisch, die Hände in meinem Schoss zusammengefaltet, um das Zittern zu unterdrücken. Jetzt wird sie mir offenbaren, was meine letzte Prüfung sein wird. Ich atme durch, um ruhig zu bleiben, auch wenn ich am liebsten aus dem Stuhl springen würde.

»Danke, Eure Obrigkeit«, sage ich.

»Auch wenn es bei Weitem nicht nötig gewesen wäre, deine Fähigkeiten so zur Schau zu stellen«, fügt sie hinzu und zieht vorwurfsvoll eine Braue hoch. »Wir sind eine Gilde, kein Zirkus.«

»Ich verstehe nicht ganz –«

»Lüg mich nicht an. Ich habe gesehen, wie sehr du die Aufmerksamkeit in der Arena genossen hast. Den Ruhm. Die Anerkennung der anderen Anwärterinnen.« Sie lässt mir keine Zeit zu widersprechen, sondern redet unbeirrt weiter. »Dir ist bewusst, weshalb wir tun, was wir tun, nicht wahr?«

»Wir beschützen die Menschen«, antworte ich.

Sie nickt. »Ganz genau. Wir tun das nicht für Ruhm oder Ehre oder Anerkennung. Wir tun es, weil es das Richtige ist. Die Welt da draußen ist voll von Monstern. Es ist unsere Aufgabe, sie zu finden und zu töten. Dies ist unser Dienst an die Menschheit. Vergiss das nie.«

Ich senke den Blick. »Verstanden, Eure Obrigkeit.« Natürlich weiß ich, was die Aufgabe von uns Jägerinnen ist. Wie oft habe ich diese Worte in den letzten Jahren hier schon gehört? Es ist mehr als eine gewöhnliche Arbeit, eine Jägerin zu sein. Es ist eine Berufung. Eine Verpflichtung, den Menschen für den Rest seines Lebens im Dienst zu stehen.

Ein Lächeln huscht über die Lippen der Obersten Jägerin. »Wir waren alle mal jung«, meint sie, ihre Stimme deutlich sanfter als eben noch. »Es liegt keine Schande darin, das zu lieben, was man tut. Solange man den eigentlichen Sinn nicht aus den Augen verliert.« Sie zwinkert mir zu.

Ich atme aus. »Ich will eine Jägerin werden«, bestätige ich ihr. »Das ist alles, was ich je im Leben wollte.« Der Satz kommt, ohne nachzudenken, über meine Lippen. Wie Worte, die eine Schauspielerin für ein Theaterstück einstudiert hat. Ich muss nicht einmal darüber nachdenken, so oft habe ich sie schon gesagt.

»Ich weiß.« Die Oberste Jägerin legt ihre Fingerspitzen aneinander, stützt ihre Ellbogen auf dem Tisch ab und sieht mich lange an. »Erinnerst du dich noch an deinen ersten Tag hier?«

Nun kann auch ich mir ein Lächeln nicht verkneifen. »Wie könnte ich den je vergessen?«

»Du warst ein Kind damals. Gerade mal sechs Sommer alt und dünner als jeder Knochenhund, den ich in meinem Leben gesehen habe. Wenn ich ehrlich sein will, hatte ich nicht viele Hoffnungen für deine Zukunft, als die Jägerinnen dich hergebracht haben«, gesteht sie mit einem Seufzer. »Ich war mir nicht sicher, ob du überhaupt die ersten Trainingsstunden überstehen würdest. Noch in derselben Woche nach deiner Ankunft bist du im Lazarett gelandet. Und weshalb? Weil du dir eingebildet hast, bereits zu den Großen zu gehören, und dich allein einem Korndämon gestellt hast. Es ist ein Wunder, dass du bei dieser Begegnung überhaupt mit dem Leben davongekommen bist.«

Gedankenverloren berühre ich meine rechte Braue. Sie ist zweigeteilt an der Stelle, an der die Narbe beginnt. Sie zieht sich knapp an meinem Auge vorbei, hinab über meine Wange und das Kinn bis zum Schlüsselbein. Mein Ohr ziert eine ähnliche Narbe – ebenfalls ein Überbleibsel der Krallen, mit denen mir der Dämon versucht hat, das Gesicht aufzureißen. Die Oberste Jägerin hat recht: Meine Leichtsinnigkeit hätte mich an diesem Tag gut und gerne umbringen können.

»Und trotzdem bin ich noch hier«, sage ich und schmunzle bei der Erinnerung.

»Und trotzdem bist du noch hier«, stimmt die Oberste Jägerin mir zu. »Nicht nur am Leben, sondern eine unserer vielversprechendsten Anwärterinnen seit Jahren. Du hast mir bewiesen, wie falsch ich mit meinen Vermutungen über dich lag. Es kommt nicht oft vor, dass mich jemand zu überraschen vermag. Nicht, wenn man schon so alt ist wie ich.« Sie lacht. »Weißt du, manchmal sehe ich dich an, Jade, und erkenne mich selbst in dir. Eine jüngere und ehrgeizigere Version von mir. So voller Leben und Zielstrebigkeit.«

Meine Brust schwillt an. Ihre Worte erfüllen mich mit unerklärlichem Stolz. Ich habe schon lange keine Mutter mehr, aber die Oberste Jägerin hat mich großgezogen. Sie war immer für mich da, wenn ich sie gebraucht habe. Eine der größten Jägerinnen, die die Gilde je gesehen hat. Obwohl ihre Muskeln inzwischen erschlafft und ihr Gesicht mit Falten überzogen ist, glüht nach wie vor eine stählerne Stärke in ihren grauen Augen, der ich hoffentlich eines Tages mal gerecht werden kann.

»Ich schätze, es wird Zeit, dass du dich endlich deiner letzten Prüfung stellst, Jade«, meint die Oberste Jägerin. Mein Herzschlag beschleunigt sich, als sie eine Schublade ihres Schreibtischs öffnet und ein Stück Papier herauszieht. Vorsichtig faltet sie es auf und legt es vor mir ab. »Ich habe eine letzte Herausforderung für dich. Eine letzte Möglichkeit, um zu beweisen, dass du dieser Gilde würdig bist.«

Ich weiß, was es ist, ohne auf das Papier zu blicken. Die letzte Prüfung ist immer gleich: Die jungen Anwärterinnen müssen die Gilde verlassen, um ihren ersten, richtigen Auftrag zu erledigen. Keine Monsterkämpfe mehr in der Arena. Keine endlosen Trainingsstunden in den schwül-warmen Kellergemäuern der Gilde. Keine Jägerinnen, die eingreifen können, falls etwas schieflaufen sollte.

Bei meiner letzten Prüfung werde ich ganz auf mich allein gestellt sein.

»Das ist das Beauprince-Anwesen«, erklärt die Oberste Jägerin und zeigt auf das Haus, das auf dem Stück Papier abgebildet ist. »Früher gehörte es dem angesehenen Grafen von Beauprince, der gemeinsam mit seiner Familie auf tragische Art und Weise von einer Bestie getötet wurde. Seitdem steht das Gebäude leer. Vor ein paar Monaten hat sich ein reicher Baron aufgemacht, das Grundstück aufzukaufen. Allerdings verschwanden seine Kundschafter beim Auskunden spurlos. Einige Bauern haben ihre Überreste später flussabwärts gefunden.«

»Klingt, als würde diese Bestie immer noch ihr Unwesen auf dem Anwesen treiben«, schließe ich.

»Das ist auch mein Eindruck, ja. Deshalb hat der Baron unserer Gilde den Auftrag gegeben, das Biest zu finden und zu töten«, erklärt die Oberste Jägerin. »Er hat versprochen, uns für unsere Arbeit gebührend zu entlohnen.«

Mir ist klar, worauf diese Unterhaltung hinausläuft. Ich schlucke. »Ihr wollt, dass ich diese Kreatur erschlage.«

Sie nickt. »Deine letzte Prüfung ist einfach, Jade: Bring mir den Kopf dieses Monsters, bevor der nächste Neumond aufgegangen ist.«

Fast hätte ich zu lachen begonnen. Nächtelang habe ich mir ausgemalt, wie mein erster Auftrag aussehen wird. Ich dachte an einen Greif, der die Landwirte in der Gegend tyrannisiert, oder ein Kelpie, das sich zu viele Kinder am Seeufer geholt hat. Stattdessen muss ich nun eine Bestie töten, die sich auf einem verlassenen Anwesen eingenistet hat – weit weg von Menschenleben, die in Gefahr geraten könnten, während ich meinen Dienst erledige. Ich kann mich voll und ganz auf meine Arbeit konzentrieren.

Das wird ein Kinderspiel.

»Ich werde Euch nicht enttäuschen, Eure Obrigkeit«, verspreche ich. Nur mit Mühe kann ich meine Aufregung im Zaum halten. »Ich werde Euch den Kopf dieses Biests bringen, noch bevor der Mond voll geworden ist.«

Die Oberste Jägerin musterte mich mit einem sorgenvollen Ausdruck. »Unterschätze diese Aufgabe nicht, Jade. Du hast keine Ahnung, welches Unheil dich in diesem Anwesen erwartet. Wer weiß, welche Kreatur hinter diesen Mauern lauert.«

»Spielt es denn eine Rolle? Ein Monster ist ein Monster«, erwidere ich, bevor ich mich bremsen kann. »Im Endeffekt haben sie alle keine Chance gegen die Klinge meines Schwertes.«

 

*

 

Ich reite am nächsten Morgen los. Eine Traube von Anwärterinnern und Jägerinnen hat sich im Innenhof versammelt, als ich mein Pferd besteige. Ein paar von ihnen wünschen mir Glück für die Aufgabe, andere beobachten mich lediglich mit ernsten Blicken. Viele Anwärterinnen sind nie von ihrer letzten Prüfung zurückgekommen. Aber ich beabsichtige nicht, zu ihnen zu gehören.

»Pass auf dich auf«, sagt Clémentine, als ich auf mein Pferd steige.

»Das tue ich immer«, erwidere ich mit einem Grinsen.

Sie nimmt meine Hand und sieht mich mit einer Sorge im Blick an, die mich innehalten lässt. »Ich meine es ernst. Du musst zu mir zurückkommen, hörst du?«

»Mach dir keinen Kopf«, entgegne ich und drücke ihre Hand. »Das wird ein Kinderspiel. Ich bin schneller zurück, als du mich überhaupt vermissen kannst.«

Mit einem Seufzer löst Clémentine ihre Hand von mir und lässt sie sinken. »Versprich mir, dass du keine Dummheiten machen wirst.«

»Versprochen.«

»Und, Jade …« Sie zögert, bevor sie die nächsten Worte äußert. »Lass dich da draußen nicht umbringen, nur weil du zu stolz dafür bist, Hilfe anzufordern, ja?«

Ich zwinge mich zu einem Lächeln. »Das werde ich«, versichere ich ihr, auch wenn wir beide wissen, dass es eine Lüge ist.

Sie stellt sich auf die Zehenspitzen und drückt mich noch einmal kurz an sich. Dann setze ich mich in Bewegung und lasse die Gilde hinter mir.

Der Weg zum Beauprince-Anwesen verläuft durch einen verlassenen Wald, nicht weit von den Gebäuden der Gilde entfernt. Ich reite den ganzen Tag durch und lege nur kurze Pausen ein. Je schneller ich mein Ziel erreiche, desto besser.

Irgendwann nachmittags zieht ein dicker, nasser Nebel aus dem Norden auf. Er lässt die Schemen und Formen der kargen Bäume am Rand des Weges verschwimmen, raubt mir die Sicht auf das, worauf ich zureite. Der Wind ist kälter geworden, gleitet mit eisigen Berührungen über mein Gesicht und meine Finger, die schon fast taub geworden sind. Obwohl sie nur im Schritttempo geht, keucht und schnauft Colette unter mir. Jedes Mal, wenn sie die Nüstern bläht, steigt weißer Rauch nach oben und vermischt sich mit dem Weiß an meinen Sichträndern.

Ich tätschle die Stute zärtlich am Hals. »Nicht mehr lange, ma Belle«, flüstere ich. Als hätte sie mich verstanden, stößt Colette ein leises Schnauben aus. Sie schüttelt ein paar Wasserperlen ab, die sich in ihrer hellen Mähne gesammelt haben, und geht zielstrebig weiter.

Wir folgen dem Weg für ein paar Minuten. Ohne den Blick auf den vom Nebel verdeckten Himmel zu heben, spüre ich, dass der Einbruch der Nacht unmittelbar bevorsteht. Die Schatten im Wald sind länger geworden, die Luft noch beißender als sowieso schon.

Colettes Schritte schmatzen im Schlamm unter ihren Hufen, der sich in den Pfützen und Schlaglöchern des Weges angesammelt hat. Neben unseren Atemzügen ist es das einzige Geräusch, das die Stille durchdringt. Je näher ich dem Anwesen komme, desto mehr scheint das Leben aus diesen Wäldern zu weichen – so, als wüssten die Tiere, die hier normalerweise im Gebüsch wühlen und kratzen, dass es besser ist, sich fernzuhalten. Ich bin umringt von kahlen, fast blattlosen Bäumen, die längst ihr Kleid für den kommenden Winter angezogen haben. Beinahe kommt es mir vor, als wäre ihr Anblick eine Warnung. Eine Vorahnung auf das, was mich am Ende des Pfades erwarten wird: ein Ort, der nur noch Platz für Tod und Zerstörung bietet.

Der Ort, an dem ich endlich mein Recht erringen werde, mich als Jägerin zu bezeichnen.

Ich zügle Colette, bis sie stehenbleibt, und gleite dann vorsichtig von ihrem Rücken. Jeder Muskel in meinen Beinen und meinen Hüften schmerzt, als meine Stiefel auf dem schlammigen Boden aufkommen. Ich löse die Schnallen meines Rucksackes und ziehe die Karte hervor, welche die Oberste Jägerin mir mitgegeben hat. Sie zeigt den Wald, in dem ich mich gerade befinde, und den schmalen Pfad durch die Bäume hindurch bis zum Anwesen.

Ich bin fast da.

Sorgfältig falte ich die Karte wieder zusammen und stecke sie zurück in meinen Rucksack. Dann überprüfe ich einmal mehr den Inhalt, auch wenn ich weiß, dass er sich seit meiner Abreise kaum verändert hat. Proviant für mehrere Tage, Verbandszeug, leere Fläschchen und Dutzende von Tinkturen und Cremes – einige zur Wundheilung, die meisten aber zu kämpferischen Zwecken. Salbei gegen Schleimbeutler, Salz gegen Geister, gemahlene Alraunwurzel gegen böse Zauber. Die wichtigste Regel der Gilde ist es, stets auf alles vorbereitet zu sein.

Nachdem ich mich versichert habe, dass mein Inventar vollständig ist, schwinge ich mir den Rucksack wieder über die Schultern und ziehe die Riemen stramm. Anschließend steige ich zurück auf mein Pferd. Colette setzt sich ohne Zögern in Bewegung, als ich sie mit den Zügeln antreibe. Sie scheint genauso willens zu sein wie ich, unseren Zielort noch vor Einbruch der Nacht zu erreichen. Auf sie wird dort eine wohlverdiente Pause warten.

Auf mich den Kampf, auf den ich mich mein gesamtes Leben vorbereitet habe. Das ist es, worauf ich die letzten sechzehn Jahre gewartet habe. Eine Herausforderung, wie ich sie noch nie bestritten habe. Sobald ich die Bestie getötet und ihren Kopf zurück zur Gilde gebracht habe, werde ich offiziell in die Ränge der größten Jägerinnen des Landes aufgenommen werden, mich mit ewigem Ruhm und Ehre und Anerkennung schmücken dürfen.

Die Oberste Jägerin liegt falsch. Ich unterschätze diese Aufgabe nicht – nein, ich habe seit Jahren darauf gewartet. Es ist unbedeutend, welches Monster mich am Ende des Weges erwartet. Ich bin fest entschlossen, es mit allem aufzunehmen. Und ich werde erst wieder zurückkehren, wenn ich den Kopf dieser Bestie sauber von ihrem Körper getrennt habe.